Läuft die intellektuelle Auseinandersetzung mit formalen Fragen von musikalischen Formen und Proportionen zwangsläufig auf abstrakte, manchmal esoterische L'art pour l'art hinaus? Wer bislang diese Vorstellung hatte, darf sich mit dem Hören dieser CD mit Werken des Komponisten Christian FP Kram eines Besseren belehren lassen. Aber was heißt hier schon belehren? Die Stücke, alle während der letzten 20 Jahre entstanden, werden hier durch fünf hochmotivierte Interpreten mit einer Unmittelbarkeit zum Klingen gebracht, als würden sie gerade erst im Moment des Spielens kreiert. Einer Reise in die Tiefen des Klangraums eines mächtigen Konzertflügels und in die Essenz des musikalischen Ausdrucks steht somit nichts mehr im Wege. So will es ja auch der Titel dieses Albums: „...verso l'interno..." – nach innen gerichtet.
Die dänische Flötistin Clara Guldberg Ravn hat schon mit Aufnahmen von Flötensonaten des dänischen Komponisten Morten Ræhs aufhorchen lassen. Jetzt hat sie eine weitere CD mit Flötenkonzerten aus dem Barock vorgelegt, in deren Booklet sie schreibt: „Ich hoffe, Sie haben Freude daran, unsere CD anzuhören.“ Und in der Tat: Es ist eine wahre Freude, diese CD anzuhören! Die Flötistin verwendet für jedes Konzert eine andere Blockflöte – alles ist sorgfältig dokumentiert im liebevoll gestalteten und kenntnisreich gehaltenen dreisprachigen Booklet. Die Abfolge der vier Konzerte (die im Booklet allerdings eine andere ist) ist nach dramaturgischen Grundsätzen gehalten: Die Dramatik steigert sich von Konzert zu Konzert. Clara Guldberg Ravn beherrscht ihr Instrument bzw. alle verwendeten Instrumente mühelos und meisterhaft, es sind keine Griffgeräusche, sie scheint nie zu atmen, alles scheint auf einem ewigen Luftstrom zu schweben.
Wenn es um komponierende Frauen geht, fällt auch dieser Name immer wieder: Elfrieda Andrée. Die schwedische Komponistin war nicht nur die erste Domorganistin überhaupt, sie kämpfte an mehreren Fronten für die Rechte der Frauen, erkämpfte nicht nur sich das Recht, einen solch renommierten Posten überhaupt bekleiden zu dürfen, sondern sorgte auch für andere berufliche Perspektiven ihres Geschlechts – etwa das Recht als Telegraphistinnen tätig sein zu dürfen. Mit den Vorurteilen der Männer hatte sie dabei immer zu kämpfen, wie sich aus vielen Rezensionen herauslesen lässt. Um so spannender ist es, wenn man sich nun selbst ein Urteil bilden kann, da viele neue Notenausgaben und CD-Aufnahmen das Bild der komponierenden Frau in der Musikgeschichte zu korrigieren trachten. Zu Recht!
Das Osmanische Reich wurde seit seinem Aufstieg im 14. Jahrhundert von einer kleinasiatischen Regionalmacht zum Erben des byzantinischen Kaiserreichs; es stieg seit der Eroberung Konstantinopels 1453, das sich der Einnahme ebenso standhaft wie erfolglos widersetzte, für Jahrhunderte zu einer Macht auf, welche die gesamte Ost- und Südküste des Mittelmeeres kontrollierte und damit in der damaligen Welt bedeutende Macht ausübte. Die Stellung ihres Herrschers als „Sultan“ und der Titel des Kalifen, mit dem überdies die höchste geistliche Autorität des Islams verbunden war, machte sie zu unbestrittenen weltlichen und geistlichen Oberhäuptern ihres Reiches und seiner Religion – sie waren, mit christlichen Begriffen gesprochen, Kaiser und Papst zugleich und wussten sich auch im Titel ihres Reiches wirkungsvoll in Szene zu setzen: „Devlet-i ʿAlīye“ – „Der erhabene Staat“ hieß das türkisch-islamische Nachfolgereich des einst so mächtigen Byzanz für Jahrhunderte.
Hat man sich in der Vergangenheit mit der Karriere des deutschen Pianisten Tim Allhoff beschäftigt, so bringt man ihn – bei aller Wertschätzung – eigentlich eher nicht mit einem reinen Bach-Album in Verbindung. Und doch hat er genau dieses bei Berlin Classics herausgebracht und überzeugt mit jeder einzelnen Note. Allhoff, Jahrgang 1980, ist vor allem bekannt dafür, pianistischer Grenzgänger zu sein, der sich dem verbreiteten Schubladendenken in der Klassikszene verweigert und sich in seiner Musik – als Interpret, aber auch Komponist und Arrangeur – gerne zwischen den Genres aufhält. Mit der CD „Bach“ bringt er nach mehreren preisgekrönten Aufnahmen unter eigenem Namen sowie mit hochkarätigen Namen wie Nils Wülker, Fatma Said, dem Leonkoro Streichquartett und sogar Robbie Williams nun seine erste rein klassische Aufnahme heraus.
Obwohl Bach als ausübender Musiker eine Vielzahl Instrumente beherrschte, spielte er die Laute nicht. Dennoch hat er ein zwar kleines, aber exquisites Œuvre für das Instrument hinterlassen, und seine idiomatische Vertrautheit mit der Laute dürften nicht zuletzt Ratschläge des bedeutenden Lautenisten Silvius Leopold Weiss (1687-1750), mit dem Bach freundschaftlich verbunden war, befördert haben. So sind Bachs Kompositionen für Laute solo, von denen Jadran Duncumb hier seine zweite Einspielung vorlegt, als bedeutendes Beispiel spätbarocker Literatur für dieses empfindsame Instrument zu werten, bevor es im weiteren musikalischen Schaffen des 18. Jahrhunderts in eine gründliche Vergessenheit geriet – erst mit der historisch informierten Musikbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte die reiche Literatur für die Laute wieder eine angemessene Wertschätzung erreichen.
Sonata BWV 1003 • Suite BWV 997 • Suite BWV 1006a Stephen Marchionda guitar
MDG 903 2354-6
1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2024
26.03.2025 • 10 10 10
Geradezu liebevoll beschreibt der amerikanische Gitarrist Stephen Marchionda seine Gitarre, deren Bau, deren Gitarrenbauer und dessen Werkstatt in Spanien. Und genauso liebevoll klingt sein Spiel. Er hat drei Sonaten bzw. Partiten von Bach für Gitarre transkribiert, die ursprünglich für Violine und Laute bzw. ein Lautenwerck komponiert waren. Man muss hier nicht diskutieren, ob die E-Dur-Suite BWV 1006a ursprünglich für Violine oder Laute gedacht war oder ob man alles für eine Gitarre adaptieren „darf“: Bach hat selber viele seiner Werke für andere Instrumente arrangiert. Man kann es und man „darf“ es, wenn nichts von der ursprünglichen musikalischen Gestaltung verlorengeht. Marchionda, der schon höchst erfolgreich Klaviersonaten von Domenico Scarlatti für Gitarre arrangiert hat, macht es und er macht es glänzend.
Sonatas & Partitas for violin solo BWV 1001 - 1006
Coviello Classics COV 92405
2 CD • 2h 06min • 2019, 2020
12.02.2025 • 10 10 10
Die Sammlung „Sei Solo“ von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1720 enthält je drei Sonaten und Partiten für Violine ohne Generalbass-Begleitung. Der 1961 in Freiburg geborene Geiger Christoph Timpe hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese einzigartigen Werke nach den Prinzipen der historischen Aufführungspraxis aufzunehmen. Der Klang seines Instruments, das von einem Anonymus aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt, ist hell und klar, gestimmt auf einen niedrigeren Kammerton als heutige Geigen. Dass die Lautstärke verhältnismäßig gering ist, wird durch die Aufnahmetechnik ausgeglichen.
Die 1910 geborene Elsa Barraine machte erstmals öffentlich auf sich aufmerksam, als sie 19-jährig den begehrten Rompreis gewann. In den 1930er Jahren festigte sie vor allem mit Orchesterwerken ihren Ruf als eines der herausragenden jungen Talente der französischen Musik. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie – als Jüdin, Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen die deutsche Besatzung gleich mehrfach gefährdet – im Untergrund überstanden hatte, war sie als Professorin am Pariser Konservatorium, später als Inspekteurin der staatlichen Musiktheater im Dienste des Kulturministeriums weiterhin eine feste Größe im Musikleben Frankreichs, geriet jedoch künstlerisch zunehmend ins Abseits, da sie sich den avantgardistischen Moden verweigerte.
Der 1955 in Köln geborene Pianist Michael Korstick legt mit seinem neuen Album ausgewählte Bagatellen und Variationen Beethovens vor. Dabei verzichtet er auf die bedeutendsten Werke des Meisters auf diesen Gebieten wie die Bagatellen op. 126 und die Eroica-Variationen op. 35 oder gar die Diabelli-Variationen op. 120. Dafür gewährt er großartige Einblicke in die Werkstatt des Komponisten, seine unbegrenzte Fantasie beim Aufspüren neuartiger melodischer, harmonischer, satztechnischer Möglichkeiten.
Sonaten für Klavier und Violine Stefania Neonato, Fortepiano • Christine Busch, Violine
SWRmusic SWR19157CD
1 CD • 63min • 2024, 2022
30.04.2025 • 10 10 10
Etwas überrumpelnd-frisch, lebendig bis stürmisch und immer wie auf dem Sprung wirkt die Interpretation dreier Violin-Sonaten von Beethoven durch das Duo Stefania Neonato (Fortepiano) und Christine Busch (Violine) – wie ein Abbild des oft mürrisch-trotzigen Komponisten. Dieser Eindruck wird noch bestätigt durch die exzellente Tonregie, die beide Instrumente klanglich gleichwertig nach vorne stellt und den Raum – das Haus der Musik im Fruchtkasten in Stuttgart – unauffällig, aber durchaus wirkungsvoll mitschwingen lässt. Die anspringende Wirkung des Spiels der beiden Solistinnen wird noch durch die Wahl des Instruments verstärkt...
Forgotten Treasures of the German Baroque Astrid Knöchlein oboe & recorder
Ars Produktion ARS 38 670
1 CD • 78min • 2023
10.06.2025 • 10 10 10
Deutsche Barockmusik ohne Bach und Händel? Die Musikerin Astrid Knöchlein, die am Konservatorium Bern unterrichtet, macht’s möglich mit einer Auswahl von zwölf „vergessenen Schätzen“, Sonaten für Barockoboe oder Blockflöte mit Basso continuo. Fündig wurde die Interpretin beispielsweise in einer Brüsseler Bibliothek bei einem Sammelband aus dem Nachlass Friedrichs des Großen, der ja selbst ein begeisterter Flötist war. Weitere Entdeckungen gab es im Umfeld der Bach-Familie, und schließlich fand man in Georg Philipp Telemanns Sammlung „Der getreue Musikmeister“ eine interessante Blockflötensonate in C-Dur.
Vor nahezu vier Jahren hatte ich an dieser Stelle die Freude, die erste Folge der Gesamteinspielung der Klavierquartette von Johannes Brahms und Friedrich Gernsheim durch das Mariani Klavierquartett zu besprechen. Nun liegt mit der dritten Folge der Abschluss der Reihe vor. Kombinierte das Ensemble auf den ersten beiden CDs jeweils zwei in ihrer Grundstimmung verwandte Werke, so ergibt sich jetzt zwangsläufig ein von starken Kontrasten geprägtes Programm.
Johannes Brahms Sonatas op. 120 • Robert Schumann Märchenbilder op. 113
Christian Euler, viola • Paul Rivinius, piano
MDG 903 2353-6
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2024
11.04.2025 • 10 10 10
Das Duo Bratsche/Klavier mit Christian Euler/Paul Rivinius hat schon einige CDs in dieser Besetzung veröffentlich – sehr groß ist das diesbezügliche Repertoire ja nicht. Diesmal also Spätromantik mit Brahms und Schumann. Brahms hat seine Klarinetten-Sonaten – Frucht einer letzten Aufwallung von Komponierlust – auch für die Bratsche vorgesehen, mit vernehmlichem Brummeln zwar, aber dann doch. Zusammen mit den original für Bratsche geschriebenen Märchenbildern op. 113 von Robert Schumann ergibt sich eine stimmige Gesamtkonzeption, hat doch Schumann dieses Werk komponiert, nachdem er Brahms kennengelernt hat.
Der 1965 in Bamberg geborene Dirigent Gerd Schaller hat sich in einem Groß-Projekt zum Ziel gesetzt, die Symphonien Bruckners in allen verfügbaren Fassungen einzuspielen. Als idealen Klangkörper gründete er dafür 2008 die „Phiharmonie Festiva“, ein Orchester, in dem ausgewählte Musiker aus verschiedenen deutschen Vereinigungen zusammenkommen. Die Symphonie Nr. 3 wurde im April 2024 im Regentenbau Bad Kissingen als Live-Aufnahme eingespielt, wofür diesmal die meist zu hörende Fassung von 1877 gewählt wurde.
Mit Paul Büttner (1870‒1943) widmet sich der Dirigent Jörg-Peter Weigle einem der vielen heute vergessenen Komponisten, die im zwanzigsten Jahrhundert die Symphonik in klassisch-romantischer Tradition weitergeführt haben. Der Dresdner Büttner stammte aus einfachen Verhältnissen, was sich in seinem jahrzehntelangen Einsatz für die musikalische Bildung der Arbeiterschaft widerspiegelt und den seit 1907 mit Unterbrechungen am Dresdner Konservatorium wirkenden Pädagogen – ab 1924 als künstlerischer Direktor – und bekennenden Sozialdemokraten unter den Nazis 1933 die Stellung kostete. Seine musikalisch völlig unbedenkliche Kunst war fortan unerwünscht. Büttners jüdische Frau Eva saß ab 1922 sogar für die SPD im sächsischen Landtag, überlebte nach dem Tod ihres Gatten den Rassenwahn nur mit Glück und setze sich später in der DDR für die Pflege von dessen Werk ein. Trotzdem schaffte es bislang nur eine ältere Eterna-Aufnahme von Büttners 4. Symphonie auf CD (Sterling).
Tatjana Vorobjova hat sich ihren Ruf als exzellente Interpretin barocker Cembalomusik bisher mit Einspielungen von Krieger, Scarlatti und Bach verdient; dabei verwendete sie ihr eigenes Instrument, einen Ruckers-Nachbau aus dem Jahr 2004 von Titus Crijnen, der auf der absoluten Höhe des gegenwärtigen Cembalobaus steht und somit exzellent geeignet ist, das von der Künstlerin präsentierte Repertoire darzustellen. Für die hier vorliegende Aufnahme durfte sie auf dem Vorbild ihres eigenen Instruments spielen, dem weltberühmten, im Colmarer Musée Unterlinden aufbewahrten „Colmar-Ruckers“-Cembalo, das auf dem Resonanzboden die Jahreszahl „1624“ trägt und somit im letzten Jahr 400 Jahre alt wurde.
Die betont seriöse Aufmachung mit Codex-Titel samt Jahreszahlen über Blumenbouquet führt ein wenig in die Irre: Nichts weniger ist diese Produktion des Ensembles „Open Chamber Berlin“ als eine trockene Erkundung des historischen Repertoires einer obskuren alten Musik-Handschrift. Stattdessen beginnt fröhlich ein gezupfter Bass zu summen, eine Harfe kommt hinzu, ein wunderbar silbriges barockes Hackbrett, später eine Orgel, und über dem Ostinato in Es-Dur entspinnt sich ein freies Improvisieren von Violine, Blockflöte, schließlich dem ganzen Ensemble.
Der 1897 als Paul Frankenburger in München geborene Komponist hatte sich bereits vor der Emigration 1933 nach Palästina musikalisch zu seinen jüdischen Wurzeln bekannt. Doch erst dort – wo er sich auch in Ben-Haim umbenannte - lernte er, vor allem durch die jemenitische Sängerin Bracha Zephira, echte Volksmusik sephardischer Herkunft kennen, die dann zunehmend sein Werk bestimmen sollte. So gesehen ist der Titel des von der Geigerin Liv Migdal kuratierten neuen cpo Doppelalbums „The Cosmos of Paul Ben-Haim‟ etwas irreführend, denn die hier eingespielte Musik lässt den noch stark an Wagner und vor allem Mahler orientierten Stil des jungen Komponisten außer Acht.
Die Lebensdaten von Christoph Demantius (1567-1643) sind von den Jahreszahlen her identisch mit denen Claudio Monteverdis, des großen Heroen des Übergangs von der Musik der Spätrenaissance zu der des Frühbarocks. Demantius geriet nach seinem Tod schnell in Vergessenheit, und auch heute ist seine Vertretung im Tonträgerkatalog nur auf ganz wenige Einspielungen beschränkt. Unverständlich, wenn man bedenkt, dass er eine bedeutende Anzahl an Kompositionen hinterlassen hat, deren Qualität unter denen seiner Zeitgenossen herausragt und auch den Vergleich mit dem großen italienischen Komponisten der Epoche nicht scheuen muss.
Schubert Brahms Martin Milan siljanov, Nino Chokhonelidze
Prospero Classical PROSP0103
1 CD • 57min • 2022
26.02.2025 • 10 10 10
Der als Sohn persisch-mazedonischer Eltern in der Schweiz geborene Sänger Milan Siljanov wählte für sein neues Lieder-Album den ernsten Titel „Echoes of Eternity“, um auf den Sinngehalt seiner Lieder-Auswahl hinzuweisen: es geht um Leben und Tod, um die Hoffnung, dass es für den Menschen „eine Weiterführung in eine ferne Ewigkeit“ gibt. Schubert-Lieder wie Am Bach im Frühling oder Auf der Donau sind bei tieferer Betrachtung düster und traurig gestimmt, und dieser Eindruck steigert sich noch bei Gesängen wie Fahrt zum Hades oder Gruppe aus dem Tartarus. Doch es gelingt dem Interpreten, seinen warmen, wandlungsfähigen Bariton bei klarer Diktion so eindringlich und spannungsreich einzusetzen, dass begeisternde Musik entsteht. Die aus Tiflis stammende Pianistin Nino Chokhonelidze leistet mit variablem Anschlag und starkem Einfühlungsvermögen das ihre, um die Lieder anziehend zu gestalten.
Das Markenzeichen des Amaryllis-Quartetts (Gustav Frielinghaus, Lena Sandoz – Violine, Mareike Hefti. - Viola und Yves Sandoz – Violoncello.) besteht in der Programmierung von zumeist zwei Werken des klassisch-romantischen Repertoires mit einer Komposition moderneren Charakters. Dieses Prinzip war bereits bei seiner nach Farben benannter CD-Reihe prägend, deshalb wird es jetzt für eine Gesamtaufnahme der Beethoven-Quartette übernommen. Diese wird den Titel Face2Face tragen. Die erste CD dieser Serie beschert uns äußerst gelungene Einspielungen der Quartette op. 18,3 und op. 135 von Ludwig van Beethoven, und Bela Bartóks Sechstes Quartett.
Das international besetzte Ensemble Louise Farrenc benennt sich nach einer Komponistin, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris große Erfolge feierte. Das Andenken an Louise Farrenc wird auch vom Label cpo hochgehalten, das anlässlich ihres 150. Todestages eine weitere Kammermusik-Produktion auf den Markt bringt. Louise Farrenc stammte aus einer Pariser Künstlerfamilie und war mit dem Flötisten und Musikverleger Aristide Farrenc verheiratet, der ihre Werke im Druck herausgab. Schon zu Lebzeiten fanden ihre Kompositionen eine breite Resonanz. 1842 wurde Farrenc vom Pariser Konservatorium angestellt – als weltweit erste Frau auf einer Musikprofessur.
Die größte Sammlung von Vokalmusik um 1700 in Mitteleuropa ist die von Georg Österreich (1664-1735). Bekannt ist sie aber unter dem Namen ihres Nachbesitzers Heinrich Bokemeyer (1679-1751). Bokemeyer wurde in Immensen geboren, studierte an der Universität Helmstedt Theologie, Literatur und Medizin, wonach er für seine Gelehrsamkeit berühmt wurde, wurde 1704 Kantor der Martinuskirche in Braunschweig, dann 1712-1717 in Husum, ab 1717 war er an der fürstlichen Schule in Wolfenbüttel tätig. Sein Lehrer war Georg Österreich, von dem er dessen Sammlung erwarb
Die serbische Pianistin Dina Stojilković verfügt nicht nur über die Technik, sondern auch über das Gespür, um die höchst anspruchsvollen beiden Bücher der „Goyescas“ nachzuempfinden. Der typisch spanische Tonfall teilt sich ebenso mit wie der in Töne umgesetzte Bilderreichtum der „majos enamorados“ – der verliebten jungen Männer! Temperament und Gefühl sind die Markenzeichen dieser Einspielung.
Nach Archilochos und Isaiah Berlin kennt der Fuchs viele verschiedene Sachen, der Igel nur eine große. Dieser Einteilung der Künstler und Denker folgend, erscheint der Wiener Komponist Wilhelm Grosz, der, nachdem er vor den Nationalsozialisten hatte fliehen müssen, 1939 viel zu früh im amerikanischen Exil starb, als archetypischer „Fuchs“. Sein Schaffen erstreckt sich auf eine Vielzahl unterschiedlichster Gebiete und spiegelt die Vielseitigkeit seines Autors wieder, der mit einer musikwissenschaftlichen Arbeit über Mozarts Fugen promoviert wurde, als Pianist wie als Dirigent gleichermaßen erfolgreich war, und schließlich zur Ultraphon-Schallplattengesellschaft fand, für die er bis 1933 als Aufnahmeleiter arbeitete. Gleichermaßen traditionsbewusst wie aufgeschlossen für neue Möglichkeiten künstlerischer Aussage, war Grosz das Gegenteil eines weltabgewandten Künstlers, der im stillen Kämmerlein für sich allein und vielleicht noch einen Zirkel Eingeweihter schreibt.
„Es gibt wohl in der Reger-Nachfolge kaum eine subtilere und dabei gemütswärmere Musik als diese“ – so schreibt Klaus Wolters in seinem meinungsfreudigen, manchmal durchaus kontroversen, aber stets anregenden Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen über die Klavierwerke von Joseph Haas (1879–1960). Vor gut 20 Jahren hat sich die Pianistin Gerit Lense einiger dieser Werke angenommen; seinerzeit erschienen zwei CDs beim verdienstvollen, mittlerweile aber leider nicht mehr existenten Label Cavalli Records. Umso erfreulicher ist daher, dass mit dem vorliegenden Album die erste dieser beiden CDs bei Ars Produktion wiederveröffentlicht wird.
Die Gesamteinspielung der Streichquartette Joseph Haydns durch das Leipziger Streichquartett nähert sich mit Volume 19 der Vollendung. Diesmal geht es um das frühe Opus 2, Werke, die eigentlich noch der Gattung „Divertimento“ zugerechnet wurden und allesamt fünfsätzig sind. Sie entstanden wahrscheinlich gegen Ende der 1750er Jahre für Karl Joseph von Fürnberg auf Schloss Weinzierl in Niederösterreich. Nur vier der insgesamt sechs Kompositionen des Opus 2 sind originale Streichquartette, die übrigen sind echte Divertimenti, nämlich Sextette mit zwei Hörnern.
Symphony op. 67 »Es muß doch Frühling werden« • Symphony in F minor
cpo 555 625-2
1 CD • 61min • 2023
19.05.2025 • 10 10 10
Da fragt man sich doch wirklich, wieso ein hochromantischer Komponist der Mendelssohn-Klasse wie Ferdinand Hiller (1811-1885) so selten mit Aufnahmen bedacht wurde und freut sich desto mehr, dass Howard Griffiths und das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt eine fulminante Einspielung der Sinfonien in e- und f-Moll vorlegen. Dass Hiller von den Spielplänen verschwand, lag vorwiegend an der der Neudeutschen Schule folgenden Generation von Star-Dirigenten um 1900 (F. Mottl, R. Strauss), deren Bibel Richard Wagners Schrift „Über das Dirigieren“ war, denn dort kommt Hiller eher schlecht weg.
Ähnlich wie der nur wenige Monate jüngere, lange überschätzte Heinrich von Herzogenberg (1843-1900), oder der 12 Jahre später geborene Heinrich XXIV. Prinz Reuss von Köstritz (1855-1910, nicht zu verwechseln mit dem derzeit wegen Revolutionsfantasien verhafteten gleichnamigen heutigen Prinzen), ist Hans Heinrich XXIV. Bolko Graf von Hochberg (1843-1926) einer jener Adligen, welche den hohen Stand der gelehrten Kompositionskunst konservativ-klassizistischer Couleur der Zeit zwischen Bruckner/Brahms und Mahler/Strauss im deutschsprachigen Raum belegen. Der gebürtige Schlesier studierte bei dem Kontrapunktpapst Friedrich Kiel in Berlin, gründete 1876 die Schlesischen Musikfeste und war von 1886 bis 1902 General-Intendant der Königlichen Schauspiele in Berlin, also auch der Preußischen Hofoper, wo er 1898 Richard Strauss als Hofkapellmeister engagierte.
Johannes Moesus und sein Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim beweisen einmal mehr ihre Affinität zur deutsch-österreichischen Musik um 1800. Diesmal haben sie zwei Sinfonien und ein aberwitzig virtuoses Konzert für zwei Hörner von Franz Anton Hoffmeister aufs Programm gesetzt. Sie retten damit drei heitere, unbedingt hörenswerte und gute Laune stiftende Werke vor der Vergessenheit. Eine CD, die einem trübe Wintertage erhellen kann!
Der norwegische Cellist Theodor Lyngstad, Jahrgang 1993, ist seit 2019 Solocellist beim Philharmonischen Orchester Kopenhagen (bzw. in aktueller Eigenbezeichnung Copenhagen Phil – hele Sjællands symfoniorkester). Mit dem vorliegenden Album gibt er sein CD-Debüt, sekundiert von „seinem“ Orchester unter der Leitung der finnischen Dirigentin Eva Ollikainen (derzeit Chefdirigentin des Isländischen Sinfonieorchesters). Vergleichsweise ungewöhnlich ist dabei die Kombination von Kabalewskis Cellokonzert Nr. 2 und Schumanns Cellokonzert, wobei Lyngstad selbst allerdings durchaus berechtigt auf eine Reihe von Parallelen zwischen den beiden Werken hinweist, speziell atmosphärischer Natur.
Complete Flute Music Markus Brönnimann and friends
Tacet 281
1 CD • 52min • 2024
05.06.2025 • 10 10 10
„Jetzt, im Sommer 2024, ist meine Beschäftigung mit György Kurtags Flötenmusik vorerst abgeschlossen. Ich habe jede Note dreimal umgedreht und versucht, mich in seine Denkweise und Welt hineinzuversetzen. Ich habe versucht, eins zu werden mit dieser Musik, so wie Kurtág dies von seinen Studenten immer verlangt hat. Alle diese Stücke zu lernen, war nicht nur eine Herausforderung, Kurtágs Musik hat mir auch sehr viel zurückgegeben und mich glücklich gemacht. Möge es dem Hörer gleich ergehen“ – schreibt der auf diesem Album agierende Schweizer Flötist Markus Brönnimann im Booklet. Um es gleich vorweg zusagen: Ja, das Hören dieser Musik und die Beschäftigung mit der CD haben mich glücklich gemacht, sehr sogar. Dies umso mehr, als ich das bei dem – in der Musikwelt nicht überall beliebten – Instrument Flöte in dieser Intensität nicht erwartet habe.
Der ungarische Komponist György Kurtág – mittlerweile in seinem hundertsten Lebensjahr – gilt seit jeher als Meister der kleinen Formen und intimen Besetzungen. Höchst selten überschreitet ein einzelner Satz eines längeren Werkes oder eine Liedvertonung zeitlich vier Minuten. So reichen bei ihm schon kleinste musikalische Gesten oder ein dreizeiliger Gedichttext aus, um emotionale Höchstspannung zu erreichen und die Hörer tief zu berühren.
Josquin des Prez (ca. 1450-1521) galt schon seinen Zeitgenossen als der bedeutendste Komponist seiner Generation, und noch heute nimmt er diesen herausragenden Platz ein. Werke aus Josquins Feder fanden schon zu seinen Lebzeiten Eingang in Musikhandschriften der blühenden Messestadt Leipzig, die seit 1497 dank des Messeprivilegs Kaiser Maximilians I. dreimal jährlich eine internationale Handelsgesellschaft in ihren Mauern versammelte. Um 1500 entstand die Sammelhandschrift des Gelehrten Nicolaus Apel, und ein halbes Jahrhundert später, 1558, das bedeutende – heute in der Universitätsbibliothek Leipzig verwahrte – Manuskript Ms. Thomaskirche 49/50, in dem die berühmtesten Komponisten der Zeit vereint sind. So bedeutet diese CD eine Hommage des Ensembles amarcord an den überragenden Meister der Musik der Renaissance anhand der in Leipzig aufbewahrten Überlieferung seines Werks.
Claudio Monteverdis Sammlung mit Werken aus seiner Zeit als Kapellmeister an San Marco in Venedig, Selva morale e spirituale, von 1640/41 wurde bereits mehrfach mit den Feierlichkeiten zum Ende der Pest 1631 in Verbindung gebracht, bei der ein Drittel der Stadtbevölkerung umkam und die den Anlass zur Stiftung der Kirche Santa Maria della Salute gab. Da diese Sammlung ein virtuoses, konzertierendes Gloria sowie drei Fragmente eines Credos enthält, hat sich Roland Wilson entschlossen, anstatt die drei Fragmente – wie vom Komponisten oder Drucker vorgeschlagen – in die vierstimmige dort ebenfalls enthaltene Messe zu integrieren, die fehlenden Teile aus anderen Werken des Komponisten zu ergänzen.
Diesmal dirigiert Reinhard Goebel, Professor für historische Aufführungspraxis am Salzburger Mozarteum, das Mozarteum Orchester in der fortlaufenden Aufnahmen-Reihe des Labels Berlin Classics. Dem Hauptwerk, Mozarts Posthornserenade KV 320, werden dabei zwei Märsche voran und nach gestellt und eine Aufführungssituation imaginiert, die der Mozartforscher Manfred Hermann Schmid beschreibt: Am Ende des Sommersemesters der Benediktiner-Universität spielen Studenten – und vielleicht auch Hofmusiker – eine Serenade, die im Hof von Schloss Mirabell beginnt, dann wird – unter Abspielung der Märsche – die Salzach überquert und alles vor der Kollegienkirche wiederholt. Die Aufnahme mit dem Mozarteum Orchester bringt dies alles zu höchster Anschauung bzw. Anhörung: so heiter-fröhlich, so munter-rege, ja so fast hüpfend vor Freude agieren die Musiker, immer wie mit einem Lächeln auf den Lippen (obwohl das natürlich bei Bläsern nicht möglich ist…), so farbenfroh und so dynamisch lebendig blasen die Bläser – Mozart hat für diese hyperkomplexe Unterhaltungsmusik drei Bläserpaare vorgesehen, die, wie Thomas Schipperges im „Mozart-Handbuch“ schreibt, „ein konzertierendes Linienspiel von wechselnder Farbigkeit“ bilden.
ier erklingt ein Mozart, über den nicht allzu viel gesagt, sondern der einfach gehört werden sollte: Alles klingt, ‚spricht‘ und leuchtet, reif und natürlich, überzeugend vom Ersten bis zum Letzen, symphonisch! So realisiert, erscheint die Musik weder ‚geglättet‘ noch unter- oder überspannt, nichtsdestoweniger hoch konzentriert, lebendig gerichtet. Nirgends wird das tiefernste Moll künstlich dionysisch aufgeladen. Schon nach den ersten Taktgruppen des Orchesters und hernach des Klaviereinsatzes – spannend gestaltet sind auch die Pausen! – ist man unter den Händen dieses Pianisten in die Formprozesse hineingezogen.
Nos. 4, 5, 6, 10 and 12 Folkwang Kammerorchester Essen • Johannes Klumpp
Genuin GEN 25909
1 CD • 67min • 2022
09.02.2025 • 10 10 10
Mozarts ganz frühe Symphonien werden im Konzertsaal kaum gespielt. Sie würden vielleicht öfters aufgeführt werden, würden sie so gespielt, wie es das Folkwang Kammerorchester Essen unter dem hochinspirierten Dirigat von Johannes Klumpp tut. Klumpp ist schon für seine (von Thomas Fey übernommene und dann fertiggestellte) Gesamtaufnahme der Haydn-Symphonien mit den Heidelberger Sinfonikern gefeiert worden. Das Feiern wird kein Ende nehmen, wenn die Gesamtaufnahme aller Mozart-Symphonien mit diesem Orchester abgeschlossen sein wird. Denn Klumpp begreift die frühen Mozart-Symphonien deutlich als dialogisch: „Kantabilität, ‚sprechender‘ Ton, ‚Theaterhaltung‘“ sowie „Analogien zu szenischen Formen“ schreibt Volker Scherliess im „Mozart-Handbuch“ allen Symphonien Mozarts zu und zitiert dabei E.T.A. Hoffmann, der die Symphonie schlechthin als „Oper der Instrumente“ charakterisiert.
Es ist höchst erfreulich, dass die Streichquartett-Literatur nach wie vor durch hervorragende Komponisten um neue Meisterwerke bereichert wird. Spontan fallen mir aus jüngerer Zeit das bislang einzige Quartett Al-Asr des genialen jungen Franzosen Benjamir Attahir oder das erst kürzlich uraufgeführte Quartett Nr. 8 des deutschen Altmeisters Roland Leistner-Mayer ein. Als echte Bereicherung des Repertoires dürfen auch die bislang vier Streichquartette des 1964 geborenen Schweizers Fabian Müller gelten, von denen die drei letzten auf dem vorliegenden Album des Galathea-Quartetts zu hören sind. (Das Streichquartett Nr. 1 wurde bereits 2008, als die nachfolgenden noch nicht existierten, vom Petersen-Quartett für Capriccio aufgenommen.)
Deutsche Evangelische Messe • Deutsches Kirchenamt Amarcord
cpo 555 700-2
1 CD • 77min • 2024
16.06.2025 • 10 10 10
Thomas Müntzer (ca. 1489-1525) ist anscheinend gerade einmal 36 Jahre alt geworden – sein Geburtsjahr 1489 ist freilich historisch nicht gesichert. Anders als Martin Luther (1483-1546), der mit 62 Jahren ein für damalige Zeiten recht hohes Alter erreichte, starb Müntzer nicht nur jünger, sondern als Aufständischer der Bauernkriege darüber hinaus noch durch das Schwert des Scharfrichters. Dennoch teilte er manches mit dem großen, nur wenige Jahre älteren Reformator. Allerdings nicht Luthers Neigung für die Obrigkeit, wenn sie sich denn in der Religion auf seine Seite schlug. Müntzer hielt es jenseits der Glaubensfragen – in denen er durchaus auf Seiten Luthers stand – mit denen, die im 20. Jahrhundert „die Entrechteten“ genannt wurden. Das brachte ihn auf die Seite der gegen die staatliche Obrigkeit Krieg führenden Bauern, deren Erhebung Luther erzürnte und zu seiner energischen Ablehnung ihrer Berufung auf seinen Grundsatz von der „Freiheit eines Christenmenschen" führte.
Bei Folge 17 seiner „Nordic Journey“ ist der amerikanische Organist James D. Hicks mittlerweile angelangt. Wie auf den vorigen 16 CDs widmet sich Hicks alter und neuer Orgelmusik aus nordischen Gefilden – wobei der Begriff zuweilen eher weit als eng gefasst ist. Das Baltikum ist beispielsweise mit einigen Komponisten vertreten, ebenso wie Norddeutschland. Folge 17 aber besinnt sich auf die Kerngebiete: Schottland, Dänemark inklusive der Faröer, Island und Norwegen. Das ist zuweilen durchaus weit gefasst, etwa wenn der amerikanische Komponist Aaron David Miller eine effektvolle North Atlantic Fanfare oder der Norweger Mons Leidvin Takle Arrangements von Stücken Oscar Petersons beisteuern. Insgesamt ist die Mischung aber ebenso spannend wie abwechslungsreich, dies insbesondere, weil nicht wie sonst so oft die üblichen Schlachtrösser des Repertoires aneinandergereiht werden, sondern Hicks wirklich echte Raritäten ausgräbt oder – auch das eine spannende Angelegenheit – neue Werke in Auftrag gibt.
Ragna Schirmer • Hofkapelle München • Rüdiger Lotter
Berlin Classics 0303740BC
1 CD • 69min • 2074
01.06.2025 • 10 10 10
Maria Theresia Paradis (1759-1824) war zu ihrer Zeit ein medizinisch-musikalisches Wunderkind: Obwohl sie mit drei Jahren erblindete, legte sie eine steile Karriere als Pianistin und Komponistin hin, lernte bei Antonio Salieri, Vincenzo Righini und Abbé Vogler, machte eine glanzvolle Tournee durch Europa mit Paris als Höhepunkt, wo sie mindestens zehnmal bei den berühmten Concerts spirituels auftrat und sogar zusammen mit Königin Marie Antoinette öffentlich sang. In Wien war sie mit Mozart und Haydn bekannt, die für sie Klavierkonzerte komponiert haben – Mozart sicher, Haydn vermutlich.
Erstaunlich, wie viele Komponisten und Literaten des deutschen Barocks einen juristischen Hintergrund hatten. Hierzu gehören J.H. Schein, J. Kuhnau, der neben dem Thomaskantorat noch eine Kanzlei betrieb, Telemann, C. Graupner sowie die Bach-Söhne Friedemann und Carl Philipp Emanuel. Eine echte Doppelung legt die Capella Cathedralis Fulda begleitet von L’Arpa festante unter der Leitung von Franz-Peter Huber nun mit der Brockes-Passion des Hamburgischen Senatssyndicus Jacob Schuback (1726-1784) in Ersteinspielung vor. Hauptberuflich war Schuback Jurist und als Diplomat Hamburgs Vertreter beim „Immerwährenden Reichstag“ in Regensburg. Sein Vater amtierte von 1754 – dem Entstehungsjahr der Komposition – bis 1782 als Bürgermeister der Stadt. Da der Textdichter Barthold Heinrich Brockes – ebenfalls Jurist und Diplomat – und Vater Schuback seit 1737 Senatorenkollegen waren, dürften Librettist und Komponist sich näher gekannt haben.
Symphony No. 5 • Two Serenades • Two Serious Melodies • Swanwhite
Ondine ODE 1468-2
1 CD • 77min • 2024
13.06.2025 • 10 10 10
Es war für ihn ein „Ringen mit Gott“: insgesamt drei Anläufe brauchte Jean Sibelius, um seine fünfte Symphonie fertigzustellen. 1915 war es endlich soweit, doch zufrieden war der Komponist nicht. Er knöpfte sich sein Geburtstagsstück, das der finnische Staat anlässlich seines 50. Geburtstags bei ihm bestellt hatte, noch einmal vor und revidierte es zuerst 1916, dann nochmal 1919 grundlegend. Diese Fassung erklang dann am 24. November 1919 unter seiner eigenen Leitung zum ersten Mal. „Jetzt ist sie gut“, stellte der als finnischer Nationalkomponist verehrte Sibelius nun endlich fest.
Reinhard Schwarz-Schilling • Heinrich Kaminski The Complete Songs
Aldilà Records ARCD 028
2 CD • 1h 30min • 2024
03.06.2025 • 10 10 10
Unter den relativ jungen, vom CD-Volumen her eher kleinen Labeln unserer Tage gehört Aldilà Records sicherlich zu denjenigen mit einem besonders markanten, unverwechselbaren Profil, was etwa die Auswahl der Komponisten oder die Konzipierung der Alben anbelangt. So auch auf der vorliegenden Neuerscheinung: Heinrich Kaminski (1886–1946) und sein Schüler Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985) gehören zu den Komponisten, die ganz besonders im Fokus des Labels stehen, und ebenso typisch ist, dass die Doppel-CD eben nicht „nur“ das (komplette) Schaffen beider Komponisten für eine Singstimme und Klavierbegleitung bietet, sondern noch eine Reihe klug ausgewählter Beigaben, die die Musik gewissermaßen kontextualisieren.
Missa votiva de Beata Maria Virgine Andrzej Szadejko
MDG 902 2336-6
1 CD/SACD stereo/surround • 62min • 2019
07.02.2025 • 10 10 10
Eine immense Forschungsarbeit ging diesem Album mit Musik aus der Tabulatur des Jan z Lublina oder Joannis de Lublin, eines polnischen Organisten und Kanonikers des frühen 16. Jahrhunderts, voraus. Der bedeutende Kodex entstand zwischen 1537 und 1548 und enthält auf 520 Seiten neben ein paar Dutzend Tänzen und weltlichen Liedern in mehreren Sprachen ein umfangreiches geistliches Repertoire, zu dem neben Hymnen und Antiphonen etwa drei Orgelmessen gehören. Allein die Entzifferung der schönen Handschrift, von der sich im Beiheft eine Abbildung findet, ist musikwissenschaftlich verdienstvoll.
Mit Vol. 4 feiern Felix Koch, die Gutenberg Soloists sowie das Neumeyer Consort „Bergfest“ bei ihrer Mammutunternehmung, den kompletten 1713/14 in Eisenach und ein Jahr später in Frankfurt uraufgeführten „Französischen Jahrgang“ der Herren Georg Philipp Telemann und Erdmann Neumeister auf Tonträgern festzuhalten. Hierbei ermöglicht Nun komm der Heiden Heiland TWV 1:1175 den direkten Vergleich mit der Komposition desselben Textes in Bachs BWV 61.
Wer immer noch meint, barocke Musik sei bloße abstrakte Musik und keine „Programmmusik“, sollte sich auf dieser CD zuerst den Schluss anhören, insbesondere die Tracks 25-29: Diese fünf Sätze aus dem Stück mit dem nichtssagenden Titel Introduzione a tre aus Der getreue Musikmeister von Georg Philipp Telemann sind fünf Frauen-Porträts aus der Geschichte bzw. Mythologie, deren Wesen und Schicksal hier musikalisch geschildert wird: das Keifen von Xanthippe, der angeblich streitsüchtigen Ehefrau von Sokrates, das Klagen von Lukretia, die von Tarquinius vergewaltigt worden ist, das vielfältig-gescheite Wesen der griechischen Lyrikerin Corinna, die Wellen des Tibers, den die heroische Römerin Cloelia durchschwamm, und das Schwanken zwischen Verzweiflung und Trauer der von Aeneas verlassenen Dido.
Dass mich eine CD, die ausschließlich Antonio Vivaldi gewidmet ist, nicht zwingend begeistert, dürfte den Lesern bekannt sein. Desto schöner, dass jetzt eine Produktion auf meinen Schreibtisch gelangte, die mir höchste Freude bereitete. Wohl nur die Wenigsten werden wissen, dass Vivaldi gelegentlich eine obligate Orgel in seinen Concerti und Sonaten einsetzte. Wer uns dies ins Bewusstsein ruft, erwirbt sich allein schon durch das Aufzeigen dieser Facette Verdienste. Geschieht es auf die hier dokumentierte Weise muss höchstes Lob die Folge sein.
Bei der Rezeption des deutschsprachigen Prager Juden Hans Winterberg (1901-1991), der nach kurzer Internierung in Theresienstadt 1945 seine zweite Lebenshälfte in Bayern verbrachte, hat sich in den letzten drei Jahren einiges getan. Insbesondere durch den unermüdlichen Einsatz von Winterbergs leiblichem Enkel Peter Kreitmeier und Frank Harders-Wuthenows – sowohl beim Musikverlag Boosey & Hawkes als auch als verantwortlicher Produzent bei eda records – werden viele Werke des Komponisten, nach seinem Tode lange unter Verschluss, nun in erstaunlichem Tempo als Notenmaterial und auf Aufnahmen zugänglich gemacht. Vor allem aber kommt es zunehmend wieder zu Aufführungen seiner Musik.
Les Yeux clos“ – Mit geschlossenen Augen, so lautet der Titel dieser CD, der einem Klavierwerk von Toru Takemitsu entlehnt ist. Das könnte passender kaum sein, beschreibt es doch gleichzeitig die Hörhaltung, in der man diese CD am besten genießt: entspannt, in Ruhe, mit geschlossenen Augen und ganz auf das hörend, was da die Ohren umschmeichelt. Das tut diese Musik nämlich. Die Pianistin Sanna Vaarni hat Werke Takemitsus mit Werken von Olivier Messiaen kombiniert. Die Auszüge aus dem Zyklus 20 Regards sur l’enfant Jésus und Île de feu passen perfekt zu der ebenso demütigen wie sinnlichen Musik des japanischen Komponisten, der wie der Musik Messiaens etwas zutiefst Rituelles, Sakrales zu eigen ist.