Lisa Shklyaver und Georgy Voylochnikov unternehmen eine musikalische Zeit- und Weltreise durch die romantische Literatur für Klarinette und Klavier. Von den Fantasiestücken Robert Schumanns und Niels Wilhelm Gades führt der Weg über Nikolai Medtners Sonate-Vocalise und Alexander Gretschaninows späte Klarinettensonate Nr. 2. Gern geht man mit, denn die Aufnahmen zeugen von vollendeter musikalischer Kultur.
BRAHMS Vier ernste Gesänge op. 121, Lieder & Piano Pieces
Prospero Classical PROSP 0058
1 CD • 55min • 2021
01.07.2023 • 10 10 10
Einen neuen Blick auf die Lieder von Johannes Brahms, insbesondere auf den sonst tiefen Männerstimmen vorbehaltenen Zyklus Vier ernste Gesänge, eröffnen hier die Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis und der Pianist Christian Chamorel, wobei das Grundthema Liebe unter verschiedenen Aspekten beleuchtet wird.
Dieses Musikerduo aus Anna Hüdepohl, Akkordeon, und Angelika Hansen, Violine, waren eine der erfreulichsten Neuentdeckungen im letzten Jahr. Es klingt hier so, als wären Violine und Akkordeon immer schon miteinander zur Einheit verschweißt gewesen. Was im Folk wohl schon immer so war – aber in der Kunstmusik ein Novum darstellt, welches aufhorchen lässt. Vielleicht muss man, wie diese beiden Ausnahme-Musikerinnen, von den Färöer-Inseln stammen, um einen so frischen Blick auf die Musik zu kultivieren.
Der beim Deutschen Musikwettbewerb 2022 preisgekrönte Organist Aurel Dawidiuk bewältigt ein anspruchsvolles Programm mit stilistisch ganz unterschiedlichen Werken souverän und verständnisvoll. Von Johann Sebastian Bach als Angelpunkt führt der Weg über seinen Schüler Johann Ludwig Krebs zu Franz Liszt und Max Reger, jeweils mit zentralen Kompositionen. Die „Hommage à B-A-C-H…“ von Zsigmond Szathmáry dringt bis in die experimentelle Moderne vor. Glanzvoll entfaltet die Orgel im Stadtcasino Basel ihre Farbenpracht.
Piano Concerto • Concerto for Two Pianos • Overture • Music for String, Trumpets and Percussion
Ondine ODE 1427-2
1 CD • 63min • 2022
14.06.2023 • 10 10 10
Unter den zahlreichen Neuaufnahmen mit Musik der Polin Grażyna Bacewicz sticht diese Produktion neben ihrer ausgereiften künstlerischen Qualität auch dadurch hervor, dass gerade Neueinsteiger gelungene Beispiele aus allen Schaffensperioden der Komponistin kennenlernen dürfen.
Wie aus einem Guss – dabei immer klangschön, durchdacht und mit außergewöhnlicher Verzierungskunst – wirken Bachs Goldberg-Variationen unter den Händen des Schweizers Oliver Schnyder. Gleichzeitig gelingt es, die Vielfalt unterschiedlichster Charaktere überzeugend darzustellen: eine Einspielung mit Referenzqualitäten.
So oft Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ auch schon eingespielt worden ist – mit Alexandra Sostmanns kluger und zugleich lebendiger Aufnahme hört man diese so kluge und lebendige Musik wieder neu. Man hört, wie sie sich die Fugen- und Präludien-Kunst angeeignet und wie sie sich jeweils einen je eigenen Zugang verschafft hat. Und man hört, wie viele Gedanken sie sich über die Wahl des Instrumentes gemacht hat: Sie spielt den Steinway mit Gedanken an ein Clavichord.
Eine Lanze für Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795), den so genannten „Bückeburger Bach“ bricht Jermaine Sprosse auf einem sensationell klangschönen Fortepiano, einem Originalinstrument von ca. 1805, das sorgfältig aufgearbeitet wurde. Der „Bückeburger Bach“ wurde von seinem Bruder Wilhelm Friedemann als „stärkster Spieler“ unter den Söhnen J. S. Bachs bezeichnet; Jermaine Sprosse hat ein breites Programm zusammengestellt, dem er sich mit Kenntnis, Hingabe und virtuoser Meisterschaft widmet.
Die CD begeistert durch die Frische und Präzision, mit denen Werke Bartöks aus verschiedenen Schaffensperioden interpretiert werden. Die Ungarischen Bilder von 1931 zeigen Bartóks Liebe zur Volksmusik auf, wobei unterschiedliche Charaktere auftreten. Das Konzert für Orchester von 1943 spiegelt die Krisenstimmung der Zeit wie auch die reine Freude am Musizieren in vollendeter Leistung von Dirigent und Orchester.
Marlo Thinnes entfacht im Kopf der Zuhörer bei Beethovens Klaviersonaten ein Feuerwerk an Emotionen und Assoziationen. Das kann durchaus mal ungemütlich klingen, wird aber der Kompromisslosigkeit des Komponisten derart gerecht, dass man die Fortsetzung dieser so eindrucksvoll begonnenen Gesamtaufnahme kaum abwarten kann.
Großes Musiktheater ist nicht auf die Gattung der Oper beschränkt, wie man hier in einem mitreißenden Recital der Mezzosopranistin Anna Bonitatibus erfährt. Heroinen aus Mythologie und Geschichte, von Saffo bis Maria Stuart, geben in langen Monologen tiefe Einblicke in ihr aufgewühltes Seelenleben.
Matilda Lloyd „singt“ Belcanto auf der Trompete. Den Hörer erwartet ein herrlicher Wohlklang bei Bellini oder Rossini. Matilda Lloyd überzeugt mit wunderbar warmem Ansatz; begleitet wird sie von der temperamentvoll aufspielenden Britten Sinfonia.
Contemporary Guitar Music by Cage Carter Dashow Kampela Reich
Naxos 8.574394
1 CD • 60min • 2021
28.11.2023 • 9 10 9
Arturo Tallinis Produktion "Changes" beleuchtet verschiedene Aspekte der Entwicklung der Musik im 20. und 21. Jahrhundert neuen, individuellen Klangfarben und legt den Fokus dabei auf den angloamerikanischen Raum. Brillant und hochkreativ, wie der italienische Gitarrist moderne Techniken wie Elektronik und diverse Zuspielverfahren in sein akustisches Spiel integriert. Hier kommt Tallinis künstlerische Persönlichkeit wie auch die Philosophie der ausgewählten Komponisten eindrucksvoll zur Entfaltung.
Die russische Pianistin Anastasia Yasko spielt vier wichtige Chopin-Werke aus allen Schaffensphasen. Im Mittelpunkt steht die viersätzige h-Moll-Sonate, die Yasko brillant und zugleich unsentimental durchdringt.
Die Zwillingsschwestern aus Georgien bieten ein raffiniert zusammengestelltes Programm, in dem kurze Stücke aus György Kurtágs Sammlung „Játékok“ mit Bearbeitungen von Bach’schen Choralvorspielen abwechseln. Dabei beeindruckt das genau aufeinander abgestimmte Spiel der Klavier-Schwestern wie ihr Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Stilepochen. Als Sahnehäubchen wirken fünf pfiffige Stücke aus Ligetis Frühzeit.
Wer eine Musik sucht, die in düsterer Zeit heitere Schönheit verströmt und Altersdiskriminierung für verwerflich hält, greife zu den von Lajos Lencés wiederentdeckten Kammermusikwerken für Oboe und Streicher von Florian Leopold Gassmann. Der Komponist führte hier einige seiner charmantesten Arien einer absolut idiomatischen Zweitverwertung zu, die der fast Achtzigjährige Oboist und das Szigeti-Quartett in einer perfekt ausgewogenen Aufnahme mit großem Charme und Stilgefühl uns Hörern vermitteln.
Eine Weihnachts-CD der etwas anderen Art, hat doch Felix Klieser seine persönlichen ‚Weihnachts-Hits‘ eben mal für Horn arrangiert. Diese Weihnachts-Aufnahme kommt mal ganz ohne Gesang aus und überlässt den Instrumenten den Gesang. Klieser und der Wiener Concert-Verein spielen dabei gewohnt virtuos und lassen dabei nichts vermissen.
Ein Muss aus dem Jahr 2023! Und das aus verschiedenen Gründen: Zunächst einmal, weil die Entdeckung des musikalischen Schaffens von Frauen immer noch keinesfalls abgeschlossen ist und auch nicht nachlassen darf. Dann handelt es sich bei den „Guitar Divas“ um wunderbare unbekannte Musik und zuletzt ist diese Aufnahme ein letztes Geschenk, der im Dezember verstorbenen Heike Matthiesen.
Johann Gottlieb Janitsch (1708-1763) war ein Kollege Carl Philipp Emanuel Bachs in der Hofmusik Friedrichs des Großen und wie Bach ein Protagonist des sich damals entwickelnden Konzertlebens im Berliner Bürgertum. Das Berner Ensemble Karfreitagsmusik führt seinen Namen auf eine berühmte Konzertreihe in Berliner Privatsalons zurück und präsentiert hochklassige Kompositionen von Janitsch für diese Anlässe.
Der im frühen 20. Jahrhundert sehr erfolgreiche Berliner Komponist Hugo Kaun betrachtete den Parteienstreit zwischen Brahmsianern und Wagnerianern als obsolet und schuf gleichermaßen Symphonien wie Symphonische Dichtungen. Jonathan Stockhammer und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin präsentieren Kauns vor harmonischen Raffinessen strotzende Dritte Symphonie und die beiden Tondichtungen Minnehaha und Hiawatha, in denen der 15 Jahre in den USA lebende Komponist Legenden der nordamerikanischen Ureinwohner fesselnd nacherzählt.
Eine spannende Repertoire-Ergänzung, die William Albright als ebenso vielseitigen wie vielgestaltigen Komponisten vorstellt. Zusammen mit den energiegeladenen Interpretationen von Angela Amodio ist das eine der interessantesten Orgel-CDs des Jahres.
Der dänische Pianist Kristoffer Hyldig legt eine ausgezeichnete Einspielung von Messiaens Vingt Régards sur l'Enfant-Jésus vor, die besonders das Mysterium und die Spiritualität dieser Musik betont. Eine intensive, klangvolle Aufnahme, die sich viel Zeit nimmt und von inniger Versenkung bis hin zu gewaltiger expressiver Wucht die Facetten dieses Zyklus beispielhaft auslotet.
Zu seinem 80. Geburtstag widmet Kolja Lessing dem Komponisten Krzysztof Meyer ein Portrait, in dessen Zentrum seine beiden Sonaten für Violine solo stehen. Da die beiden Werke im Abstand von mehr als vierzig Jahren entstanden, ergibt sich so gleichzeitig eine reizvolle Gegenüberstellung von (relativ) frühem und aktuellem Schaffen. Zusammen mit einigen Stücken mit Klavierbegleitung erhält man hier einen auch interpretatorisch exzellenten Eindruck von wesentlichen Charakteristika der Tonsprache Meyers und ihrer Entwicklung.
Die Chorwerke von Alfred Momotenko sind beim Chor des Lettischen Rundfunks unter der Leitung von Sigvards Kļava in den besten Händen. Momotenkos klangvolle Chormusik wird hier ebenso gesungen. Ein gelungenes Portrait eines spannenden Komponisten.
Serenaden, also abendliche „Unterhaltungsmusik“ – aber von Mozart und damit auf höchstem künstlerischen Niveau, gespielt mit traumwandlerischer rhythmischer Perfektion vom Mozarteumorchester Salzburg unter Roberto González-Monjas, der auch mit unnennbarer Süße und Eleganz die Violin-Soli spielt. Ein Mozart zum Dahinschmelzen und zum Genießen der Stimmenverflechtungen.
Mit Krebs im Körper, aber mit unendlicher Gelöstheit spielt und dirigiert Lars Vogt zwei Klavierkonzerte von Mozart. Schöner, seelenvoller und dabei natürlicher kann man Mozart kaum spielen: Es ist ein Spiel von Schiller’scher Größe: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt – aber dann so wie Lars Vogt: Er spielt - in Schiller’schem Sinne – mit der Schönheit und geradezu die Schönheit.
Ein Loblied auf den Zink erklingt hier, jenes überaus schwer zu spielende Instrument der Renaissance- und Barockmusik, das knapp und nur mäßig unzutreffend als Blockflöte mit Trompetenmundstück zu beschreiben ist. Gesanglich im Ton wie kein zweites war es seinerzeit in jedem Stadtpfeiferensemble zu finden. David Brutti auf dem Zink und Nicola Lamon (Orgel und Cembalo) bieten ein breit angelegtes Programm von Musik aus Spätrenaissance und Frühbarock und entführen ihre Zuhörer auf einen Parnass musikalischen Genusses.
Der Schlagwerker Kai Strobel zeigt sich mit allen Wassern gewaschen, wie er auf dieser neuen ARS-Produktion Vibrafon und Marimbafon als Melodie-, Harmonie- als auch Perkussionsinstrument einsetzt, um den Tango Nuevo neu zu definieren. Das führt auch zu fabelhaften Interaktionen mit der Pianistin Katharina Treutler und dem Bandoneonspieler Omar Massa – beide nehmen sich mit ebenso viel Herzblut und faszinierendem Können der Sache an. Großartiges Hörvergnügen!
Eine schöne Neuentdeckung gerade auch für die, die bereits Teile von Respighis musikalischem Schaffen kennen. Wunderbar lautmalerische Musik, die Bilder im Kopf entstehen lässt. Dem Orchestre Philharmonique Royal de Liège gelingt unter der Leitung von John Neschling die Gratwanderung zwischen sinfonischem Klang und Transparenz der an der Alten Musik angelehnten Musik.
Neben Sonate und Suite gehörte die Solo-Kantate mit Continuo zu den wichtigsten, jedoch bisher eher vernachlässigten Gattungen barocker Kammermusik. Alessandro Scarlatti, Vater des Hände-kreuzenden Domenico, definierte in seinen 500 Kompositionen ihre endgültige Form, der dann Händel, Telemann und sogar die Franzosen Rameau und Boismortier Tribut zollten. Lucie Richardot und Philip Grisvard brechen mit stilsicherer Virtuosität absolut überzeugend eine Lanze für dieses vernachlässigte Genre.
Piano Trios • Notturno • Rondo • Arpeggione Sonata
Ondine ODE1394-2D
2 CD • 2h 17min • 2021
26.04.2023 • 10 10 10
Für mich die neue Referenz der beiden großen, quasi sinfonischen Schubert-Trios. Todesnähe des Pianisten traf bei der Aufnahme auf die Todesnähe des Komponisten und ließ einen gloriosen Abschied gelingen. Nicht das kleinste Detail wird unterschlagen und doch verbreitet die große Linie einen Sog und eine Spannung, die zum Zuhören zwingt, „in eine andere Welt versetzt“ und die Längen wirklich himmlisch werden lässt.
Der Prager Romantiker Hans Seeling hinterließ bei seinem frühen Tod nur ein schmales Gesamtwerk, das ausschließlich aus Klavierstücken besteht, die zum Teil autobiographisch inspiriert sind. Karl-Andreas Kollys Einspielung ausgewählter Werke Seelings führt in eine hochpoetische Welt, die der Pianist, ebenso virtuos wie einfühlsam, zu neuem Leben erweckt.
Emánuel Moór war nicht nur ein u.a. von Pablo Casals sehr geschätzter Komponist der Brahms-Nachfolge, sondern in seinen späten Jahren auch der Erfinder eines zweimanualigen Klaviers. Ein Exemplar davon haben der Cellist David Stromberg und der Pianist Florian Uhlig ausfindig machen können und so auf diesem Album den Klang dieses Instruments in unsere Zeit transportiert. Eine faszinierende, facettenreiche Entdeckung, auch in Sachen Repertoire und Darbietungen sehr gelungen.
Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach kennt so ziemlich jeder. Die Matthäuspassion von Bent Sørensen sollte jeder kennen. Der dänische Komponist hat die Leidensgeschichte Jesu auif spannende Weise neu vertont, das Ensemble Allegria und der Norwegian Soloists Choir unter der Leitung von Grete Pedersen bringen sie auf eindringliche Weise zum Klingen.
Lieder und Duette aus 4 Jahrhunderten auf Texte von William Shakespeare sind hier auf dramaturgisch einleuchtende Weise und in exemplarischen Interpretationen zusammengestellt, wobei das in verschiedensten Repertoires bewährte Team Carolyn Sampson (Sopran) und Joseph Middleton (Klavier) durch den ebenbürtigen Bariton Roderick Williams ergänzt wird.
Persönlicher geht es kaum: Der 61-jährige Pianist präsentiert 36 Klavierstücke, mit denen er besondere Erlebnisse verbindet. Die Miniaturen stammen aus vier Jahrhunderten. Die Bandbreite reicht von Bach bis zu den Beatles.