Channel Classics CCS SA 20904
1 CD • 67min • 2003
01.10.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Aus dem Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi hat Sofia Gubaidulina 1997 einen vierzigminütigen Hymnus für Solo-Cello, Chor, Schlagzeug und Celesta geformt. Das Cello übernimmt darin gleichermaßen die Rolle des Kantors und Kommentators, ähnlich wie in John Taverners Protecting Veil. Das Werk erinnert in vielem an die russisch-orthodoxe Liturgie: Glöckchen, ähnlich wie die Tintinnabuli bei Arvo Pärt, kündigen den Auftritt der einzelnen Textzeilen an; tiefe Männerstimmen sind in der Art russischer Mönchschöre zu hören. Die höheren Stimmen bilden dazu einen Gegenpart mit oftmals weiten Klangflächen auf Vokalen, eine quasi-orchestrale Textur bildend. Mit großem Gespür für Architektonik sind die Höhepunkte disponiert – ein fesselnder Spannungsbogen mit ganz außerordentlich wirkungsvollen Momenten. Man kann dem Werk, wenn man einer traditionellen Ästhetik anhängt, allenfalls den Vorwurf machen, daß dem Text vergleichsweise wenig Hörbarkeit eingeräumt wird, die rein-musikalische Ebene scheint ihn zu überwuchern.
Wer sich an derlei nicht zu gewöhnen vermag, wird vielleicht andere Vertonungen der „Laudi“ attraktiver finden – beispielsweise die von Hermann Suter (1923, Musikszene Schweiz CD 6105) oder von Tristan Keuris (1993, Emergo Classics EC 3933-2). Doch erinnert Gubaidulina durch dieses Spannungsfeld einmal mehr eindrucksvoll daran, daß Musik mehr zu sagen vermag als tausend Worte.
Was auf den ersten Blick wie reine Füllsel für die CD aussieht – die Preludes für Cello solo (1974) und In Croce für Cello und Bajan (1979) –, entpuppt sich beim Hören als dramaturgisch wertvoller zweiter Teil: Die zehn Preludes sind äußerst kurze Soliloquien, die dem Cello erneut auf packende Weise eine menschliche Stimme verleihen und im Anschluß an das Chorwerk wie eine auf das Persönlichste reduzierte Meditation über das zuvor Gehörte wirken. Im letzten Stück, In Croce, gesellt sich das Bajan, also das russische Akkordeon, zu dieser Stimme: Es ist faszinierend zu hören, wie beide Instrumente sich immer mehr überkreuzen und gegen Ende zueinander finden.
Das Collegium Vocale Gent ist auch ohne seinen Gründer-Dirigenten Philippe Herreweghe ein exzellenter Chor, hier inspiriert geleitet von Daniel Reuss. Und der Cellist Pieter Wispelwey erweist sich wieder einmal als einer der vielseitigsten und zugleich anrührendsten Musiker unserer Zeit. Die Aufmachung der CD im Papp-Klapp-Cover mit eingestecktem Booklet unterstreicht auf das Schönste die Sinnlichkeit dieser Produktion.
Einen kleinen Abstrich gilt es bei der Technik zu machen: Die SACD klingt auf einer Surround-Anlage tadellos, auf einem herkömmlichen Audio-CD-Spieler allerdings in den Höhen etwas scharf und dicht, was besonders in den hohen Frauenstimmen der Chorpartien störend ins Gewicht fällt.
Dr. Benjamin G. Cohrs [01.10.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Sofia Gubaidulina | ||
1 | The Canticle of the Sun für Chor, Violoncello und Schlagzeug | |
2 | Zehn Präludien für Violoncello solo | |
3 | In Croce für Bajan, Violine und Kontrabass |
Interpreten der Einspielung
- Pieter Wispelwey (Violoncello)
- An Raskin (Bajan)
- Collegium Vocale Gent (Chor)
- Daniel Reuss (Dirigent)