Johann Sebastian Bach
Goldberg Variationen
Marcel Mok piano

Ars Produktion ARS 38 512
1 CD • 80min • 2024
20.08.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wenn man bei Bachs Goldberg-Variationen die klaviertechnischen Schwierigkeiten hört, ist’s vorbei mit der Wirkung. Wenn man die Aufnahme mit dem deutsch-taiwanesischen Pianisten Marcel Mok hört, braucht man jedoch keine Sorgen zu haben: Er kann in dem Reigen der über 50 Aufnahmen dieses epochalen Klavierwerks bestehen und ein wichtiges Wort mitreden. Marcel Mok wurde 1994 in Stuttgart geboren, hat unter anderem bei Bruno Canino in Italien studiert und in Paris am Conservatoire National Supérieur de Musique sowie an der Universität der Künste Berlin, wo er 2023 sein Konzertexamen mit Bestnote abgeschlossen hat. Diese CD ist seine Debut-CD: ein hörbares Ausrufezeichen! Die Aufnahme fand in der Andreaskirche in Berlin-Wannsee statt, einer beliebten Konzert- und Aufnahmestätte. Die dort herrschende Akustik ist unauffällig kirchlich und verleiht dem Spiel von Marcel Mok eine kleine sakrale Aura, die den Goldberg-Variationen gut ansteht. Verwendet wurde kein Cembalo, sondern ein Kawai-Flügel, den Marcel Mok sehr variabel bespielt.
Szenisches Singen
Die erwähnte sakrale Aura findet ihre größte Ausprägung in den ausdrucksstark-langsamen Variationen, vor allem in denen, die in Moll gehalten sind. Immer wieder lässt Mok sein Instrument singen, fast szenisch singen und oratorienhaft klagen und seufzen im elegischen g-Moll der Var. 15 (Track 16) und der Var. 21 (Track 22), vor allem aber in der Var. 25, „die großartigste von allen“, wie Angela Hewitt sagt, oder die „schwarze Perle“, wie Wanda Landowska formuliert. Das „Adagio“, das Bach persönlich in sein Handexemplar hineingeschrieben hat, nimmt Mok ernst und nimmt sich dafür Zeit (8:40), nicht so viel wie z.B. Andrei Gavrilov (1993 bei Deutsche Grammophon), aber etwas mehr als Angela Hewitt (7:54 bei Hyperion 2000). Gründlich vertieft er sich hier in die chromatisch-schmerzliche Spannung und bringt gleichzeitig die Polyphonie wirkungsvoll zur Geltung, indem er die Begleitfiguren sorgfältig selbständig führt und damit Polyphonie und Stimmung zusammenführt.
Ein singendes Fließen prägt in vielen Variationen das Spiel von Marcel Mok, zärtlich fließend wie im Sekund-Kanon der Var. 6 (Track 7), bedachtsam fließend im Terz-Kanon der Var. 9 (Track 10) und flott fließend in der Überschlags-Variation Var. 5 (Track 6), das Mok heiter nimmt, wenn auch nicht, wie Wanda Landowska fordert, als „Ausbruch unbändiger Freude“. Lyrisch singend, wenn auch etwas übereilt, ist die Var. 12 (Track 14), dafür sanft fließend die Var. 11 (Track 12), in die der Pianist die kapriziösen Arpeggien und Triller nahtlos einbaut. Graziös und anmutig singend, dabei wie schwebend phrasiert und agogisch belebt ist die kantable Var. 13 (Track 14).
Beherrschung des Tanzcharakters
Aber auch den Tanzcharakter beherrscht Marcel Mok aufs Beste: rustikal und schön gestanzt ( Var. 4, Track 5), schwingend und flink mit punktgenauen Verzierungen wie in der „tempo-di-Giga“-Var. 7 (Track 8) oder in der Basslinie vergnügt hüpfend wie im Sext-Kanon der Var. 19 (Track 20). Vor allem aber gelingt es Marcel Mok glänzend, die Polyphonie der einzelnen Variationen deutlich herauszupräparieren und sie doch als ein vielstimmiges Ganzes zu präsentieren. So entstehen oft menschlich wirkende Dialoge zwischen zwei charakterlich und temperamentsmäßig unterschiedlichen Personen.
Virtuose Hexereien
Großes Hörvergnügen machen die virtuosen pianistischen Hexereien, ob die vielen Mordente in der Var. 14 (Track 15), ob das oftmalige Überschlagen der Hände, ob die wie fein perlende Toccata (Var. 26, Track 27), ob leicht hingetupfte Triller und Glockenschläge samt auf- und absteigenden chromatische Skalen wie in der Var. 28 (Track 29), ob der Schauer an Terzen- und Sextparallelen in der Var. 23 (Track 24) oder die Tonkavalkaden und Akkordtriller in den Var. 29 und 30, die schon Beethoven und Liszt vorausahnen: ein Kompendium an technischen Schwierigkeiten, die Marcel Mok mit scheinbar leichter Hand mühelos serviert. Und dann hört man am Ende die Aria wieder – aber nicht als bloße Wiederholung, sondern als gereifte, geradezu lebenserfahrene Aria, die eben viel „durchgemacht“ hat. Für eine Debüt-CD hat Marcel Mok hochgegriffen – und auf allen Ebenen überzeugt.
Rainer W. Janka [20.08.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Goldberg-Variationen BWV 988 | 01:20:28 |
Interpreten der Einspielung
- Marcel Mok (Klavier)