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Besprechung CD

Bittersweet

Musik im Schatten des Dritten Reiches
Regina Reiter • Danlin Felix Sheng

Kaleidos KAL 6367-2

1 CD • 65min • 2023

15.05.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 8
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Alle zwei Jahre findet in Schwerin der Internationale Wettbewerb Verfemte Musik statt, und aus diesem Anlass schlossen sich im Jahre 2018 die junge Saxophonistin Regina Reiter und der Pianist Danlin Felix Sheng zu einem Duo zusammen, das auch über den Wettbewerb hinaus bestehen blieb. Ihre jüngst erschienene erste CD greift die Wettbewerbsthematik erneut auf und präsentiert ganz im Sinne des Untertitels Musik „im Schatten des Dritten Reiches“.

Kultivierte Wiedergaben von Hindemiths Sonaten

Im Zentrum des Albums steht mit Paul Hindemith ein Komponist, der zwar (gerade in den 1920er Jahren) großes Interesse am Saxophon hatte und es auch einsetzte, faktisch aber keine Solowerke für Saxophon im eigentlichen Sinne geschrieben hat. In der Tat: die Sonate op. 11 Nr. 4 (1919), ein Werk des Aufbruchs zwischen romantischen Wurzeln und neuen Wegen, ist eigentlich für Bratsche geschrieben, wird aber auch von Saxophonisten gerne gespielt, und im Falle der 1943 entstandenen Althornsonate, ein Beispiel seines Reifestils, hat der Komponist selbst das Altsaxophon als Alternativbesetzung vorgeschlagen. Beide Werke erfahren durch das Duo Reiter / Sheng sehr solide, kultivierte Wiedergaben; Reiter liegen tendenziell besonders die zarten Momente, exemplarisch zu beobachten beim vorsichtig tastenden Beginn der Althornsonate, verbunden mit einem eher gedämpften, zurückgenommenen Ton, auch dann, wenn in der Partitur (im 3. Satz von op. 11 Nr. 4) von „bizarrer Plumpheit“ die Rede ist. Im „Posthorn“-Finale der Althornsonate suchen Reiter und Sheng dementsprechend eher die Ruhe, von der Hindemiths eigenes Gedicht zum Geleit dieses Satzes spricht, weniger die eilig-tumultöse Umgebung. Etwas mehr Wucht und dramatische Zuspitzung würde allerdings der kraftvolle, halb triumphale, halb trotzige Schluss der Bratschensonate erfordern.

Zwischen Orient, Jazz und Samba

Schön gelingen die Drei Lieder ohne Worte op. 45 (1952) des 1933 nach Tel-Aviv emigrierten Paul Ben-Haim (1897–1984), eine vom Komponisten vorgenommene Adaption von (textlosen) Klavierliedern; hier gefällt die Lyrik und der leicht gedeckte Klang dieser Bilder des Orients heraufbeschwörenden Miniaturen. Das einzige Originalwerk auf dem Album ist die Hot-Sonate (1930) von Erwin Schulhoff (1894–1942), ein Stück, das sich sehr explizit, dabei immer auch wieder mit groteskem Unterton, auf Jazzmusik bezieht, nicht im Sinne einer bloßen Adaption, sondern eher von Stilisierung, Kommentierung und Spiel mit ihrem expressiven Potential. Reiter und Sheng zeigen sich erneut als kompetente, ordentlich aufspielende Interpreten, wobei diese Musik, die nicht nur Jazz verarbeitet, sondern auch einen gewissen neoklassizistischen Esprit aufweist, noch mehr Möglichkeiten zu Differenzierung und Nuancierung böte, so etwa in den leggiero-Passagen im Klavier des 2. Satzes oder im Aufbau des Kulminationspunktes des Finales im dreifachen Forte kurz vor Schluss. Gewisse Jazzbezüge und im Finale dann vor allem Sambaklänge finden sich auch in Scaramouche op. 165c (1937) von Darius Milhaud (1892–1974), wiederum ein Arrangement des Komponisten selbst, das dieses Album zu einem wirkungsvollen Abschluss bringt. Beim Klangbild ist gelegentlich (obwohl nicht durchgängig) die Balance zwischen Saxophon und Klavier nicht völlig zufriedenstellend, so sind z.B. die kessen Klavierfiguren am Beginn von Scaramouche eigentlich erst bei ihrem dritten Erscheinen wirklich gut vernehmbar.

Gutes Debüt mit ansprechender Repertoireauswahl

Nicht in allen Details einverstanden bin ich mit dem Begleittext, der die Jazzbezüge, die auf diesem Album so stark gar nicht vorhanden sind, tendenziell überstrapaziert (ärgerlich wird es u.a. dann, wenn Hindemith das Saxophon „fürs Klassik-Publikum herausgeputzt“ haben soll, übrigens noch dazu wo keine der beiden Sonaten ein Originalwerk ist), in manchen Formulierungen nicht völlig präzise ist und seltsamerweise nur im Falle von Ben-Haim den jüdischen Hintergrund des Komponisten überhaupt erwähnt. Insgesamt aber ein gutes Debütalbum mit einer ansprechenden Repertoireauswahl.

Holger Sambale [15.05.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Erwin Schulhoff
1Hot Sonate für Altsaxophon und Klavier 00:15:42
Paul Hindemith
5Sonate F-Dur op. 11 Nr. 4 für Viola und Klavier 00:17:51
8Sonate für Altsaxophon und Klavier 00:10:45
Paul Ben-Haim
12Arioso (aus: Drei Lieder ohne Worte) 00:03:59
13Ballad (aus: Drei Lieder ohne Worte) 00:02:44
14Sephardische Melodie (aus: Drei Lieder ohne Worte) 00:03:50
Darius Milhaud
15Scaramouche op. 165c für Saxophon und Orchester (Suite) 00:09:49

Interpreten der Einspielung

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