Reinhard Keiser
Der Carneval von Venedig
cpo 555 581-2
2 CD • 2h 01min • 2022
08.12.2025
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Gesamteindruck:![]()
Wieder einmal hat sich das barockwerk hamburg unter seiner Leiterin Ira Hochman als Perlentaucher im Meer der Barock-Oper betätigt und mit Der angenehme Betrug oder der Carneval von Venedig von Reinhard Keiser einen kleinen Schatz gehoben, der bei seiner Uraufführung 1707 am Hamburger Theater am Gänsemarkt Furore gemacht und bald viele Nachfolger gefunden hatte. Die Adaption und Rekonstruktion ist nicht nur von großem musikhistorischem Interesse, sondern hat für ein Publikum von heute auch einigen Unterhaltungswert.
Eine Schule der Liebenden
Das Libretto von Johann August Meister ist eine sehr freie Bearbeitung der französischen Comédie-Ballet Le Carneval de Venise, die mit der Musik von André Campra 1699 in Paris Premiere hatte. Es geht darin, ähnlich wie später in Cosi fan tutte, um zwei Paare, die sich untreu werden und am Ende nach dramatischen Konflikten, die bis zum Mordversuch führen, wieder zueinander finden. In Die Schule der Liebenden, wie Mozarts Oper im Untertitel heißt, wird hier noch ein drittes Paar einbezogen – zwei deutsche Adlige, die sich unter den Decknamen Celinde und Myrtenio in den Trubel des venezianischen Karnevals stürzen, wobei sich die Dame mehr für die dort aufgeführten Opern als für die Avancen ihres Verehrers interessiert, was diesen zur Verzweiflung bringt. Der personifizierte, in sechzehn Masken auftretende Karneval selbst bietet nicht nur den Hintergrund der Handlung, sondern ist der eigentliche Protagonist. Als Zugeständnis an den Geschmack des Hamburger Publikums gibt es im dritten Akt noch ein komisches Intermezzo mit der Köchin Trintje und ihrem Begleiter Brillo, welche kurze Couplets auf Plattdeutsch beitragen. Damit eröffnet sich eine dritte Sprachebene nach dem dramaturgisch nicht immer zwingenden Wechsel von deutschen und italienischen Arientexten.
Abwechslungsreiches Pasticcio
Der sprachlichen Vielfalt entspricht eine stilistische Vielfalt im Musikalischen. Man kann sogar von einem Pasticcio sprechen, denn Reinhard Keiser war nicht der einzige Komponist dieses Werkes. Einige Teile wurden von Christoph Graupner übernommen und auch der an der Gänsemarkt-Oper tätige Johann Mattheson soll beteiligt gewesen sein. Hinzu kommen bei den tänzerischen Sätzen einige Übernahmen aus André Campras Vorgängerstück, in dem das Ballett eine zentrale Rolle spielte. Eine solche Melange war bei dieser Form musikalischen Unterhaltungstheaters für ein bürgerliches Publikum im Übrigen nicht ungewöhnlich. Und sie fand 200 Jahre später in der Operette eine neue Blütezeit, man denke nur an Im Weißen Röß’l. Variatio delectat. In Barockopern kann die Aufeinanderfolge von Arien, Chören und Tanzsätzen oft zu einer gewissen Einförmigkeit führen. Hier sorgen die stetige Abwechslung in den Gemütsstimmungen der Akteure, die eingängigen Melodien, der rhythmische Elan und der pointierte Einsatz der Instrumente (Streicher, Oboe, Blockflöte, Fagott, Laute sowie Schlagzeug und Orgel) für ein nirgends nachlassendes Hörvergnügen.
Kühne Rekonstruktion
Bei der vorliegenden Aufnahme handelt es sich um eine kühne Rekonstruktion, denn eine komplette Partitur der Oper liegt nicht vor, sondern nur eine handschriftliche Sammlung von 32 Arien, Duetten (hier „Aria à 2) und einem Chorsatz sowie ein gedrucktes Libretto. Also mussten fehlende Nummern durch Teile aus anderen Werken Keisers ersetzt werden, vor allem aus unvollständig erhaltenen Stücken, die mit neuem Text versehen wurden. Damit erhält der Charakter eines Pasticcios eine zusätzliche Dimension.
Brillante Instrumentalisten, zuverlässige Sänger
Da die verwendeten Quellen keinen Aufschluss darüber gaben, ob die Texte zwischen den Arien als Rezitative gesungen oder als Dialoge gesprochen wurden, entschloss sich das Hochman-Team, die junge Autorin Fee Brembeck mit der Erstellung eines neuen Textes zu beauftragen, der dann von der Schauspielerin Mona Vojacek-Koper in der Rolle des personifizierten Karnevals in einer Art Conference vorgetragen wurde. In der vorliegenden CD-Version sind nur die Musiknummern enthalten und als Hörer muss man die ausführliche Inhaltsangabe im Booklet gründlich studieren, um dem Fortlauf der Handlung folgen zu können. Es sei denn, man will die Perlenkette von musikalischen Schmankerln über zwei Stunden hinweg einfach nur als solche genießen. Und das brillante, beschwingte Spiel der Instrumentalisten des barockwerk hamburg bietet in der Tat reinen Hörgenuss. Das Sängerensemble agiert zuverlässig, ohne vokale Glanzlichter zu setzen. Am meisten überzeugt das Vokalquartett, das die Chorpartien übernimmt, und aus dem die Stimmen des Tenors Mirko Ludwig und der Mezzosopranistin Geneviève Tschumi herausragen, die auch mit Solo-Partien im Stück betraut sind.
Ekkehard Pluta [08.12.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
| Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
|---|---|---|
| CD/SACD 1 | ||
| Reinhard Keiser | ||
| 1 | Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig (Oper in drei Akten) | 02:00:58 |
Interpreten der Einspielung
- Hanna Zumsande (Leonora - Sopran)
- Fanie Antonelou (Isabella - Sopran)
- Anna Herbst (Celinde - Sopran)
- Geneviève Tschumi (Trintje - Mezzosopran)
- Mirko Ludwig (Myrtenio - Tenor)
- Andreas Heinemeyer (Leandro - Bariton)
- Matthias Vieweg (Rudolfo - Bariton)
- barockwerk hamburg (Ensemble)
- Ira Hochmann (Dirigentin)
