Ture Rangström
Complete Symphonies • Chamber Works
cpo 555 768-2
4 CD • 4h 06min • 1995,1998
11.12.2025
Künstlerische Qualität:![]()
Klangqualität:![]()
Gesamteindruck:![]()
Vier Komponisten waren es in Schweden, die die sogenannte Nationalromantik von der Jahrhundertwende bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus als Hauptrepräsentanten vertraten: Wilhelm Stenhammar (1871-1927), Hugo Alfvén (1872-1960), Ture Rangström (1884-1947) und Kurt Atterberg (1887-1974). Alle vier waren bedeutende Symphoniker. Auch wenn Alfvén und insbesondere Atterberg äußerst beschlagene Meister ihres Fachs von großen lyrischen und auch dramatischen Qualitäten waren, so sind für mich doch die zu früh verstorbenen engen Freunde und Weggefährten Stenhammar und Rangström die eigentlichen Genies jener Epoche in diesem Land, das so viele große Komponisten hervorbrachte, jedoch vor Allan Pettersson und Anders Eliasson keine überragende Identifikationsfigur, wie dies Norwegen durch Edvard Grieg, Finnland durch Jean Sibelius und Dänemark durch Carl Nielsen vergönnt war. Dadurch wird Schweden auf diesem Gebiet bis heute nicht seiner eigentlichen Bedeutung entsprechend wahrgenommen, und es erklingen nur selten schwedische Werke in unseren Konzertsälen.
Pathetisch-heroischer Meister des Unbehauenen
Rangström nimmt unter den großen vier Kollegen eine Ausnahmestellung ein, indem er nicht nur der überragende Liedkomponist war (Stenhammar war ihm zwar auch hier ebenbürtig, aber bei weit geringerer Produktion), sondern auch der eigensinnigste und unbehauenste. Man kann seine Rolle, was Schroffheit der Themenbehandlung und obsessive Formung betrifft, durchaus mit derjenigen Mussorgskys innerhalb des legendären St. Petersburger ‚Mächtigen Häufleins‘ vergleichen, und was seine idiosynkratische Orchestrationsweise betrifft, ist diese Parallele sogar noch offenkundiger (man denke an die Originalfassung von Mussorgskys Nacht auf dem kahlen Berge). Daher scheuten auch einige von Rangströms Kritikern nicht davor zurück, ihn als einen Dilettanten zu beschimpfen. Es sind allerdings alle vier Symphonien und auch sämtliche weiteren, nicht allzu zahlreichen Orchesterwerke Rangströms von unerhörtem Reiz, absolut fesselnder Eigenständigkeit und durchaus durchgehend das Zuhören wert. Und in der späteren Zeit, so in der 4. Symphonie Invocatio mit ihrer obligat mitmischenden Orgel, auch hinsichtlich der Orchestration gereift und raffinierter. Insgesamt weht durch sein symphonisches Schaffen ein dunkler, pathetisch hochfahrender, grandioser Zug, der uns in eine mythisch anmutende, sagenhafte Welt voller Tragik und Heroismus versetzt. Das gilt für die ersten drei Symphonien gleichermaßen, unter welchen die Erste — August Strindberg in memoriam — die unmittelbar zündendste, die Zweite die umfangreichste und die einsätzige Dritte die auf engem Raum kontrastreichste ist. Die schwergewichtig ambitionierte frühe Dithyramb atmet ähnlichen Geist, die spätere Vårhymn (Herbsthymne) ist elegisch-versonnener. Einnehmend sind auch die charakteristischen Miniaturen des Intermezzo drammatico in ihrer theatralischen Ritterlichkeit.
Passable Gesamtaufnahme der Symphonien
Als ich vor zwei Jahrzehnten die Pilot-CD der nun vorliegenden Box hörte, war ich sehr enttäuscht, da Jurowski in seiner etwas pauschalen Herangehensweise niemals den Zauber, das Feuer und die weitgespannten Entwicklungszüge der Ersteinspielung unter Leif Segerstam (Sterling) einfangen konnte. Das hat sich bei meinem heutigen Eindruck nicht geändert und gilt für alle drei Orchester-CDs (allesamt 1995 in Norrköping eingespielt), und doch möchte ich mein damaliges harsches Urteil mäßigen. Die Aufnahmen sind im komfortablen Mittelfeld dessen angesiedelt, was heute ’state of the art’ ist. Man kann es durchhören, ohne mehr unter dem Mangel an Vertiefung und Herausarbeitung des Charakteristischen zu leiden als bei anderen Projekten mit seltenem Orchesterrepertoire.
Grandiose Kammermusik-CD
Entschädigt — mehr als entschädigt! — werden wir durch die hinzugefügte CD mit Kammermusik. Das Holmen Quartet musiziert Rangström einziges, mysteriös kontrastierendes Streichquartett Ein Nachtstück in E.T.A Hoffmanns Manier ganz wunderbar, mit vollendeter Grazie, Geschmeidigkeit und geschlossener Ausdruckskraft. Auch die – durchweg wunderschönen, manchmal die Sphäre der Salonmusik elegant streifenden – Miniaturen für Geige und Klavier sind innig vorgetragen, nicht weniger die drei bekannten Mälarlegender für Klavier solo. Den Höhepunkt, zusammen mit dem Quartett, bildet die Darbietung der vier Tanz-Miniaturen für zwei Geigen aus einer Schauspielmusik zu Shakespeares Henry IV. Hier empfängt man wirklich authentisch erscheinend den so schwärmerischen wie dramatisch präzisen Geist Rangströms aus den Händen sich seiner Musik ganz hingebender Musiker, und auch hinsichtlich der Tontechnik sind diese Aufnahmen am gelungensten.
Editorisch sehr erfreulich ist, dass die originalen Booklettexte von Stig Jacobsson ungekürzt übernommen wurden. So müssen CDs präsentiert werden, um auch in dieser Hinsicht zu unterstreichen, welche Degeneration von Geschmack und Qualität uns der in jeder Hinsicht alles entwertende Streaming-Markt beschert.
Christoph Schlüren [11.12.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
| Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
|---|---|---|
| CD/SACD 1 | ||
| Ture Rangström | ||
| 1 | Dithyramb | 00:17:13 |
| 2 | Sinfonie Nr. 1 cis-Moll (August Strindberg in memoriam) | 00:34:52 |
| 6 | Vårhymn | 00:08:02 |
| CD/SACD 2 | ||
| 1 | Sinfonie Nr. 2 d-Moll (Mitt land) | 00:37:30 |
| 4 | Intermezzo drammatico | 00:16:25 |
| CD/SACD 3 | ||
| 1 | Sinfonie Nr. 3 Des-Dur (Sång under stjärnorna) | 00:22:00 |
| 2 | Sinfonie Nr. 4 (Invocatio, Sinfonische Improvisationen für Orchester und Orgel) | 00:32:35 |
| CD/SACD 4 | ||
| 1 | Suite Nr. 1 für Violine und Klavier (in modo antico) | 00:08:01 |
| 5 | Capriccio amoroso für Violine und Klavier (In modo zigane) | 00:04:22 |
| 6 | Poem für Violine und Klavier | 00:04:59 |
| 7 | Mälarlegender für Klavier (Drei Legenden - Drei musicalische Vignetten zu August Strindbergs Stadsresan) | 00:15:27 |
| 10 | Arioso für Violine und Klavier (aus der Bühnenmusik für Hamlet) | 00:04:25 |
| 11 | Tre dansminiatyrer (Drei Tanzminiaturen für zwei Violinen aus der Bühnenmusik für Henry IV) | 00:05:50 |
| 15 | Ein Nachtstück (Notturno) in E.T.A. Hoffmanns Manier | 00:12:55 |
| 16 | Improvisata | 00:07:01 |
| 17 | Suite Nr. 2 für Violine und Klavier (In modo barocco) | 00:10:55 |
Interpreten der Einspielung
- Norrköping Symphony Orchestra (Orchester)
- Michail Jurowski * 1945 (Dirigent)
- Mark Fahlsjö (Orgel)
- Mats Jansson (Klavier)
- Tale Olsson * 1964 (Violine)
- Holmen Quartet (Streichquartett)
