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Besprechung CD

East-West-Central-South

African contemporary piano music

Genuin GEN 24888

1 CD • 10min • 2023

06.07.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Von allen (bewohnten) Kontinenten dürfte Afrika vermutlich derjenige sein, den man am wenigsten mit klassischer Musik in Verbindung bringt, vielleicht mit Ausnahme von Südafrika, wo es im 20. Jahrhundert durchaus eine Reihe von Komponisten gibt, deren Musik auf Tonträger dokumentiert ist. Insofern ist das neue Album des Pianisten Jan Gerdes, East-West-Central-South betitelt, sehr willkommen, denn es stellt Werke von sechs zeitgenössischen afrikanischen Komponisten vor, deren Musik oft genug vorher kaum auf CD repräsentiert war – selbstverständlich im Rahmen einer persönlichen, individuell gefärbten Auswahl durch Gerdes selbst.

Einflüsse des Minimalismus und raue, zerklüftete Gestik

Am Beginn stehen die beiden Johannesburg Etudes der Südafrikanerin Clare Loveday (Jg. 1967), entstanden 2012 bzw. 2015, die offenbar in ihrer Heimat bereits einige Resonanz erfahren haben. Gerade die erste Etüde ist stark von minimalistischen Einflüssen geprägt mit ihrer kontinuierlichen Sechzehntelbewegung in wechselnden Taktarten auf der Basis gebrochener Akkorde, nach und nach unter Berücksichtigung aller Tonlagen des Klaviers. Weniger direkt, aber doch spürbar sind solche Referenzen auch in der zweiten Etüde, die von leisen, zerbrechlichen Tonbildern ausgeht, sich in ihrer Intensität steigert bis hin zu eher rauen, zerklüfteten (aber grundsätzlich tonalen) Klängen, bevor die Stille des Anfangs zurückkehrt. Beide Etüden sind mit jeweils rund zehn Minuten umfangreich geraten (und nicht immer frei von gewissen Längen). Relativ deutlich an zeitgenössischer Musik orientiert ist der Südafrikaner Andile Khumalo (Jg. 1978), ein Schüler u.a. von Tristan Murail. Im Begleittext (stets mit Kommentaren der Komponisten selbst) verweist Khumalo ebenfalls auf minimalistische Einflüsse gerade in Schau-fe[r]n-ster II (2014), die aber im Vergleich zu Lovedays Musik weniger prominent erscheinen, eine von einem meist eher durchsichtigen Satz und plötzlichen expressiven Gesten geprägte Musik. Nicht unähnlich auch die Miniatur Colour me in (2016); man kann hier durchaus eine leichte lokale Note vernehmen, aber eher abstrahiert als explizit.

Breite stilistische Palette

Anders geraten dann A Walk in A Misty Morning des Nigerianers Chidi Obijiaku (Jg. 1990), auf jeden Fall traditioneller orientiert (und im Klaviersatz auch einfacher gehalten, vgl. etwa den Tremolo-Beginn in den Bässen) und mit deutlicheren lokalen Intonationen. Obijiaku beruft sich ausdrücklich auf eine eklektische Grundpositionierung und eine dezidiert lose, nicht an einer stringenten Dramaturgie orientierte Gestaltung; den Eindruck des Potpourrihaften freilich kann diese Musik nicht ganz vermeiden. Ezra Abate Yimam (Jg. 1961) aus Äthiopien ist nicht nur Komponist, sondern auch Friedensforscher; seine kompositorische Ausbildung absolvierte er in Bulgarien bei Iwan Spassow. Seine Fünf kurzen Klavierstücke (1987) sind stilistisch ebenfalls bewusst breit aufgestellt und vollziehen (unter Einbeziehung traditioneller äthiopischer Skalen) verschiedene Stilrichtungen der Musik des 20. Jahrhunderts nach von Jazz (Nr. 1) und Neoklassizismus (Nr. 3) bis hin zu milder Atonalität (Nr. 5, aber mit C-Dur-Schluss). Stellenweise recht reizvoll, wobei z.B. der Walzer in Nr. 4 etwas klischeehaft gerät.

Impetus, Momentum und klangsinnliche Reduktion

Den Höhepunkt der CD stellen für mich die letzten beiden Stücke dar, vor allem Isiko (2019) des Südafrikaners Bongani Ndodana-Breen (Jg. 1975). Grundsätzlich tonal gehalten, vermischen sich hier folkloristische Intonationen mit einem klangvollen Klaviersatz und dramatischer, expressiver Gestik zu einem Konzertstück, das einiges an Impetus, Momentum und Fluss zu bieten hat. Die schnellen absteigenden Figuren in hohen Lagen am Beginn erweisen sich dabei als substantielle, Spannung kreierende Elemente. Am Schluss der CD steht ein kurzes Wiegenlied des Kongolesen André Bangambula Vindu (Jg. 1953), der in China studierte; es handelt sich dabei um einen Satz aus einer 1990 entstandenen Suite. Hier fasziniert die (durchaus klangsinnliche) Schlichtheit des Satzes, die Reduktion auf wenige, präzise Gesten auf der Basis einer dorischen Bassfigur und Antworten darauf in höheren Lagen, geprägt von fast hypnotischen Repetitionen, bis sich am Ende alles in einer kleinen Girlande, einem Moment des Nachsinnens, der Entspannung auflöst. Jan Gerdes erweist sich auf diesem Album als sensibler, durchaus frei gestaltender Anwalt dieser Musik; man beachte etwa, wie er das Perpetuum mobile zu Beginn der Johannesburg Etude 1, versehen mit der Vortragsanweisung a little legato, with a light touch, immer wieder mit leichtem Rubato, leichtem Zögern versieht und der Musik so ein durchaus persönliches, stimmungshaftes Moment verleiht. Eine interessante Neuerscheinung.

Holger Sambale [06.07.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Clare Loveday
1Johannesburg Etude 1 00:09:02
2Johannesburg Etude 2 00:11:21
Andile Khumalo
3Schau-fe[r]n-ster II 00:10:15
6Color me in 00:01:09
Chidi Obijiaku
7A Walk In A Misty Morning 00:07:49
Ezra Abate Yimam
8Five Short Piano Pieces 00:12:41
Bongani Ndodana-Breen
13Isiko 00:06:38
André Bangambula Vindu
14Lullaby aus Suite for Piano 00:02:55

Interpreten der Einspielung

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