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Violeta Dinescu

Und jeder ging heim

gutingi 263

1 CD • 64min • 2022

16.09.2023

Künstlerische Qualität:

Klangqualität:

Gesamteindruck:

Violeta Dinescu, geboren 1953 und somit eine Jubilarin des laufenden Jahres, ist eine seit Dekaden bemerkenswert produktive Komponistin. Zwar endet das Werkverzeichnis auf ihrer Homepage bis auf wenige Ausnahmen im Jahre 2008, aber bereits die Vuza-Kanons, die das Label Gutingi bereits früher in diesem Jahr veröffentlicht hat, und die auf der vorliegenden Neuerscheinung präsentierte Tonbandkomposition Und jeder ging heim, ein Auftragswerk zum Musikalischen Pfingstfestival in der Freiburger Johanneskirche 2022, ergeben zusammen mehr als drei Stunden Musik aus dem Jahre 2022. Und jeder ging heim (der Titel zitiert das Johannesevangelium) erklang während des gesamten besagten Festivals in der Vorhalle der Kirche – eine Klanginstallation also, für die Dinescu offenbar Material aus ihrer 1986 entstandenen Tonbandkomposition New Rochelle I – VII (eines von zuvor nur zwei elektroakustischen Werken in ihrem Katalog) wiederverwendet hat.

Dem Klang der Glocken nachhören

Fundament und Zentrum von Und jeder ging heim sind Glockenklänge auf C; tatsächlich durchzieht die Quinte C-G nahezu das gesamte Stück, oft kommt mit D noch eine weitere Quinte hinzu, manchmal auch weitere kleinere Tonfolgen. Dabei werden die Töne gedehnt, verfremdet, etwa in bläserartige Klänge umgewandelt, die an- und wieder abschwellen, oder mit Echoeffekten versehen, dem Verklingen nachgehört. Einer Reihe von Akkorden oder Akkordfolgen begegnet man an verschiedenen Stellen wieder, so zum Beispiel gelegentlichen Eintrübungen in Richtung a- oder c-moll, die sich schnell wieder auflösen. Es ist also ganz dezidiert eine Aura meditativer Versenkung, die diese Musik verbreiten will. Größere Höhepunkte (auch dynamischer Art), Ballungen, Entwicklungen oder Dramaturgie wird man in diesem Werk nicht finden, stattdessen wird man Zeuge von einer Art „Sphärenmusik“, die sich über 63 Minuten hinweg in ihren wesentlichen Charakteristika kaum verändert, gewiss auch mit Blick auf ihre Bestimmung eben als Installation in der Vorhalle einer Kirche.

Rumänische Folklore und weitere Beimischungen

Dabei wird das Glockenmaterial immer wieder mit einer Reihe von moderaten „Störungen“ konfrontiert. Die wohl prägnanteste davon ist eine rumänische Folkloreeinlage, die erstmals nach etwa vier Minuten auftritt und später an wenigen Stellen sogar den Orgelpunkt kurz unterbricht. Auch werden die Glockenklänge mit allerhand Beimischungen konfrontiert wie einem elektronischen „Gluckern“, das gleich zu Beginn zu vernehmen ist, während es sich bei dem leisen „Sirren“ in höheren Lagen vermutlich um das Geräusch handelt, das Dinescu für New Rochelle kreierte und das sie an die Grillen der US-amerikanischen Stadt New Rochelle denken ließ (daher der Titel). In kleinerem Rahmen sind aber auch langgezogene Einzeltöne (wie Fis oder As), die hier und da über und neben den Glocken erklingen, solche Momente der Störung des wesentlich auf dem reichen Obertonspektrum der Glocken aufbauenden Klangbilds.

Abseits der Klanginstallation

Schwer zu hören ist all dies nicht; inwiefern die Komposition abseits ihrer Bestimmung als Klanginstallation sich auch als Musikstück per se funktioniert, das man sich zu Hause auf CD anhört, ist eine andere Frage. Es sind Klänge, die den Hörer zur Versenkung, zu einer Art innerer Einkehr einladen wollen; ein gewisses Maß an Metaphysik ist hier Teil des Konzepts, wovon auch der umfassend informierende, dabei etwas überladene, teils mystifizierende Begleittext zeugt.

Holger Sambale [16.09.2023]

Komponisten und Werke der Einspielung